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Datum:

Donnerstag, 24 September 2020

Autor:

Sven Märki

Arbeitszeit / Überstunden und Überzeit / Freizeit und Ferien - häufig gestellte Fragen ("FAQ")

Das Arbeitsverhältnis nach Schweizer Recht ist ein Austauschverhältnis – Lohn gegen Arbeitsleistung. Der Arbeitnehmer verdient seinen Lohn, indem er Arbeitszeit ableistet. Wie verhält es sich aber, wenn der Arbeitnehmer mehr als die vereinbarte Arbeitszeit leistet oder weniger? Wann ist die Arbeitszeit zu leisten und wann besteht Anspruch auf Freizeit und Ferien?

Einleitung

    Die nachstehenden Fragen und Antworten sollen einen generellen Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit vermitteln – sie ersetzen keine einzelfallbezogene Rechtsberatung und beziehen sich auf ein «normales» Vollzeitpensum. Spezialfragen zu Teilzeitarbeit, Arbeit auf Abruf, Handelsreisenden, Personalverleih etc. sind ebenso ausgeklammert, wie Lohnfortzahlungsfragen.

    Arbeitszeit

      Arbeitszeit ist diejenige Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer inner- oder ausserhalb des Betriebes für die Bedürfnisse des Arbeitgebers zur Verfügung zu stehen hat und auch tatsächlich steht und damit über seine Zeit nicht frei verfügen kann. Der Arbeitsweg ist keine Arbeitszeit, wohl aber der Weg vom Arbeits- zum Einsatzort (z.B. zur Baustelle).

      Die Dauer der Arbeitszeit ergibt sich primär aus dem Einzel- oder einem Gesamtarbeitsvertrag und sekundär aus der gelebten Praxis (betrieblich, Branche oder lokal). Die Lage der Arbeitszeit (Beginn, Unterbrüche, Ende) ergibt sich primär aus dem Arbeitsvertrag und sekundär aus der gelebten betrieblichen Praxis. Der Arbeitgeber ist in den Grenzen von Vertrag und Gesetz berechtigt, die Arbeitszeit durch Weisung festzulegen.

      Nur soweit die Arbeitszeit nicht bereits vertraglich geregelt ist. Weisungen müssen verhältnismässig sein und dürfen die Persönlichkeit des Arbeitnehmers nicht verletzen. Bei einer einschneidenden Änderung der Arbeitszeit ist daher eine Umstellungsfrist zu gewähren. Überdies ist denkbar, dass eine lang praktizierte Arbeitszeit zum Vertragsbestandteil werden kann, selbst wenn sie nicht im schriftlichen Arbeitsvertrag erwähnt ist. Um eine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit anzupassen, muss der Arbeitgeber den Arbeitsvertag anpassen, was nur im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer oder über eine Änderungskündigung möglich ist.

      Sowohl hinsichtlich Dauer als auch Lage der Arbeitszeit sind die öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitvorschriften einzuhalten:

      • Ruhezeiten von normalerweise mindestens elf aufeinanderfolgenden Stunden pro Tag.
      • Pausen je nach Arbeitsdauer:

      Arbeitszeit                                      Pause

      > 5 ½ Stunden                       ¼  Stunde

      > 7     Stunden                         ½ Stunde

      > 9    Stunden                           1  Stunde

      • Verbot der Nachtarbeit (i.d.R. ab 23:00 bis 06:00 Uhr) und der Feiertags- und Sonntagsarbeit (Sa. 23:00 Uhr bis So. 23:00 Uhr); Ausnahmen sind bewilligungspflichtig.
      • Sonderbestimmungen gelten bei ununterbrochenem Betrieb, Schichtarbeit, Arbeitseinsatz von Jugendlichen und Schwangeren und Müttern.

      Die Normalarbeitszeit bestimmt die Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers, um den Arbeitsvertrag zu erfüllen und den vereinbarten Lohn zu verdienen. Festgelegt wird die Normalarbeitszeit im Einzel-, Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag oder durch gelebte Praxis. Traditionell verbreitet ist die wöchentliche Arbeitszeit (z.B. 42 Stunden), bei flexiblen Arbeitszeitmodellen finden sich aber auch andere Bezugsgrössen wie z.B. die Jahresarbeitszeit.

      Die vom Arbeitsgesetz festgelegte, allgemeine wöchentliche Stundenobergrenze, die grundsätzlich nicht überschritten werden darf.

      • Für alle Arbeitnehmer in industriellen Betrieben, im Büro und in büroähnlichen Berufen sowie für Verkaufspersonal in Grossbetrieben des Detailhandels: 45 Stunden pro Woche.
      • Für alle übrigen Arbeitnehmer (primär manuelle Tätigkeiten, Handwerk, Verkauf in KMU): 50 Stunden pro Woche

      Ja, die geleistete (tägliche und wöchentliche) Arbeitszeit inkl. Ausgleichs- und Überzeitarbeit sowie ihre Lage ebenso die Lage und Dauer der Pausen von einer halben Stunde und mehr sind zwingend zu erfassen und zu dokumentieren.

      Vertrauensarbeitszeit usw. ist ein politisch wiederholt diskutiertes, praktisches Bedürfnis.

      • Gegenwärtig kann nur im Rahmen eines Gesamtarbeitsvertrages für bestimmte Personalkategorien ganz auf die Arbeitszeiterfassung verzichtet werden.
      • Ohne Gesamtarbeitsvertrag kann der Arbeitgeber mit der Arbeitnehmervertretung oder der Mehrheit der Arbeitnehmer eine vereinfachte Arbeitszeiterfassung (geleistete tägliche Arbeitszeit) für bestimmte Personalkategorien kollektiv vereinbaren.
      • In Betrieben mit weniger als 50 Mitarbeitenden kann der Arbeitgeber die vereinfachte Arbeitszeiterfassung mit den Arbeitnehmern individuell vereinbaren.

      Das zuständige Arbeitsinspektorat ermahnt den Arbeitgeber zur Einhaltung und kann bei fortgesetzter Weigerung eine Verfügung mit Bussenandrohung erlassen. Die Zeiterfassung ist zudem eine Anspruchsvoraussetzung für Kurzarbeitsentschädigung. Weil die Zeiterfassung eine öffentlich-rechtliche Bestimmung ist, kann der Arbeitnehmer in einem Prozess z.B. um Überstunden / Überzeit aus der fehlenden Zeiterfassung in aller Regel nichts für sich ableiten.

      Überstunden / Überzeit («Mehrarbeit») und Minusstunden

        All jene Mehrarbeitsstunden, die der Arbeitnehmer über sein vertragliches Soll der Normalarbeitszeit hinaus leistet. Mehrarbeit gilt aber nur dann als Überstunden, wenn sie objektiv (betriebs-)notwendig war oder vom Arbeitgeber angeordnet oder nachträglich genehmigt worden ist, wobei es ausreicht, wenn der Arbeitgeber von den Überstunden Kenntnis hat oder haben müsste und dagegen nicht einschreitet.

        All jene Überstunden, die der Arbeitnehmer über die gesetzliche Höchstarbeitszeit (45 oder 50 Wochenstunden) hinaus leistet.

        Gemäss Gesetz sind Überstunden und Überzeitstunden mit Lohn +25% auszubezahlen oder, sofern der Arbeitnehmer einverstanden ist, innert angemessener Frist durch Freizeit gleicher Dauer zu kompensieren (bei Überzeit mangels anderer Abrede innerhalb von 14 Tagen).

        Ja, sofern das schriftlich und im Voraus vereinbart wird. Für Überstunden gilt grundsätzlich Vertragsfreiheit. Der Arbeitsvertrag kann z.B. vorsehen, dass Überstunden nie ausbezahlt werden, sondern kompensiert werden müssen, er kann eine Überstundenauszahlung ohne Zuschlag vorsehen oder er kann eine Überstundenentschädigung ganz wegbedingen, indem die Überstunden z.B. durch den Lohn oder durch eine zusätzliche Ferienwoche abgegolten sind.

        Nur soweit im zwingenden Gesetz vorgesehen. Die ersten 60 Überzeitstunden pro Kalenderjahr können für Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 45 Stunden unter denselben Voraussetzungen wie Überstunden wegbedungen werden. Alle übrigen Überzeitstunden sind mit Zuschlag (25%) auszubezahlen oder, sofern der Arbeitnehmer einverstanden ist, innert 14 Tagen durch Freizeit von gleicher Dauer zu kompensieren.

        Ja, wenn das im Voraus vertraglich vereinbart worden ist, kann der Arbeitgeber die Kompensation einseitig anordnen. Umgekehrt kann der Arbeitsvertrag auch den Arbeitnehmer berechtigen und verpflichten, selbständig für die Kompensation von Mehrarbeit zu sorgen. Vorsicht bei Überzeitstunden, diesbezüglich hat das Bundesgericht soweit ersichtlich noch nicht geklärt, ob eine im Voraus vertraglich vorgesehene einseitige Kompensationsanordnung zulässig ist oder ob der Arbeitnehmer streng nach Gesetz für jede geleistete Überzeitstunde in die Kompensation einwilligen muss.

        Von leitenden Angestellten darf erwartet werden, dass sie qualitativ und quantitativ mehr leisten als das Betriebsübliche. Damit gilt für sie auch keine Normalarbeitszeit und es liegen bei Mehrarbeit keine Überstunden im Rechtssinne vor. Anders aber, wenn eine Normalarbeitszeit vertraglich vereinbart ist, dann besteht ein Überstundenentschädigungsanspruch.

        Für leitende Angestellte (mittleres Kader) gelten die üblichen Überzeitbestimmungen. Anders bei höheren leitenden Angestellten, also die oberste Führungsebene mit Entscheidbefugnis für den Betrieb oder Betreibsteil, welche den Geschäftsgang nachhaltig und massgeblich beeinflussen. Für sie gilt das Arbeitsgesetz nicht und damit sind auch die Überzeitbestimmungen nicht anwendbar.

        • Eine Entschädigung wird am vereinbarten Lohnzahlungstermin oder am Monatsende fällig, in dem die Mehrarbeitet geleistet wurde. Fünf Jahre nach Fälligkeit verjähren die Ansprüche. Verjährung bedeutet, dass die Ansprüche noch bestehen, der Arbeitgeber sie aber nicht bezahlen muss, wenn er sich auf die Verjährung beruft (eine Verrechnung bleibt aber möglich).
        • Nur ganz ausnahmsweise können Ansprüche aus Mehrarbeit verwirken, d.h. sie gehen unter und können nicht mehr durchgesetzt werden. Zwar muss der Arbeitnehmer geleistete Mehrarbeit zeitnah melden, eine Verwirkung wegen verzögerter Geltendmachung darf nur mit grosser Zurückhaltung angenommen werden, wenn zum Zeitablauf noch weitere Elemente hinzukommen, welche die Geltendmachung rechtmissbräuchlich erscheinen lassen.

        Grundsätzlich gilt: Kein Lohn ohne Arbeit. Hat der Arbeitnehmer Minusstunden selbst verursacht – liegt also keine unverschuldete persönliche Verhinderung (z.B. Krankheit etc.) oder Arbeitgeberverzug (zu wenig Arbeit, saisonale Schwankungen etc.) vor – kann der Arbeitgeber den Lohn kürzen und zurückverlangen oder mit künftigen Lohnansprüchen verrechnen. Gerade bei flexiblen Arbeitszeitmodellen ist stattdessen u.U. auch möglich, die Minusstunden nachzuholen.

        Bei der Gleitzeitarbeit kann der Arbeitnehmer abgesehen von allfälligen Blockzeiten seine Arbeitszeit weitgehend frei einteilen. Diese Zeitautonomie bringt aber mit sich, dass der Arbeitnehmer Mehrarbeit i.d.R. freiwillig leistet und es in seiner Verantwortung liegt, solche Gleitzeitsaldi abzubauen (insbesondere innerhalb der Kündigungsfrist) sonst verfallen sie entschädigungslos. Zulässig ist daher auch die Bestimmung, dass z.B. Ende Jahr nur ein bestimmter Gleitzeitsaldo übertragen werden kann und der restliche Überhang «abgeschnitten» wird. Bei Gleitzeit sind Überstunden/Überzeit daher eher zurückhaltend anzunehmen und der Arbeitnehmer muss beweisen, dass ein Mehrarbeitssaldo nicht Gleitzeit, sondern Überstunden / Überzeit ist.

        Freizeit / Ferien

          • Was nicht Arbeitszeit ist, gilt als ordentliche Freizeit, d.h. die tatsächliche Befreiung von der Arbeitspflicht. Der Arbeitnehmer hat pro Woche einen ganzen Freitag zugut, i.d.R. den Sonntag.
          • Weiter hat der Arbeitnehmer Anspruch auf «die üblichen freien Stunden und Tage» (ausserordentliche Freizeit), zur Erledigung dringlicher persönlicher Angelegenheiten (z.B. Arztbesuch, Beerdigung eines nahen Angehörigen etc.), sofern das nicht in der ordentlichen Freizeit möglich ist. Hierunter fallen auch die (kantonalen) Feiertage.

          Der Ferienanspruch beinhaltet zweierlei: Einräumung zusammenhängender Freizeit von mehreren Tagen zwecks Erholung und Fortsetzung der Lohnzahlung währenddessen. Der Arbeitnehmer hat pro Dienstjahr Anspruch auf mindestens vier Ferienwochen (fünf Ferienwochen bis zum vollendeten 20. Altersjahr); mindestens zwei Wochen müssen zusammenhängen.

          Nein, Ferien sind ihrem Erholungszweck entsprechend effektiv in natura zu beziehen; die Abgeltung mit Geld ist während des Anstellungsverhältnisses verboten. Dazu existieren zwei Ausnahmen:

          • Die Abgeltung der Ferien mit Geld ist am Ende des Arbeitsvertrages zulässig, wenn realer Bezug nicht mehr möglich ist.
          • Bei sehr unregelmässiger Arbeitsleistung oder bei sehr kurzem Arbeitseinsatz kann der Ferienlohn ausnahmsweise laufend zusammen mit dem Arbeitslohn ausbezahlt werden (in der Praxis verbreitet ist ein Zuschlag von 8.33% bei Stundenlohn), sofern der Ferienlohn sowohl im Arbeitsvertrag als auch auf jeder Lohnabrechnung ausgewiesen wird.

          Die Praxis handhabt das absolut zwingende Abgeltungsverbot während der Anstellung streng. Die vermeintlich abgegoltenen Ferien gelten als nicht bezogen und sind vom Arbeitgeber am Ende des Arbeitsverhältnisses nochmals zu bezahlen (Doppelzahlungsrisiko).

          Vorbehaltlich vertraglicher Abreden bestimmt der Arbeitgeber den Zeitpunkt der Ferien, wobei er auf die Wünsche des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen muss, soweit das betrieblich möglich ist. Ist ein Betrieb wegen Betriebsferien geschlossen, muss also der Arbeitnehmer grundsätzlich dann Ferien beziehen. Auch sonst kann der Arbeitgeber Ferien grundsätzlich anordnen, muss in der Praxis aber eine Vorankündigungsfrist von drei Monaten einhalten. Weiter wird das Bestimmungsrecht des Arbeitgebers eingeschränkt, indem die Ferien i.d.R. im laufenden Dienstjahr, wenn immer möglich real und während des Arbeitsverhältnisses zu gewähren sind und vereinbarte Ferien nicht einfach wieder geändert werden dürfen.

          Nein, eine Verwirkung ist ähnlich wie bei Mehrarbeit nur in ganz seltenen Fällen von Rechtsmissbrauch denkbar. Deshalb sind vertragliche oder reglementarische Bestimmungen nichtig, wonach die nicht bezogenen Ferien zu einem bestimmten Zeitpunkt verfallen. Allerdings verjährt der Ferienanspruch fünf Jahre nach seiner Fälligkeit.

          Falls keine vertragliche Regelung besteht, sind zwei Fälle zu unterscheiden:

          • Hat der Arbeitgeber die Ferien angeordnet, so kann er beim Austritt des Arbeitnehmers den Ferienlohn nicht zurückverlangen.
          • Hat der Arbeitnehmer dagegen um individuelle Ferien ersucht und der Arbeitgeber hat dem stattgegeben, reicht die Arbeitszeit bis zum Austritt aber nicht aus, um den Vorbezug auszugleichen, so muss der Arbeitnehmer einen entsprechenden Abzug vom letzten Lohn grundsätzlich hinnehmen, wenn er gekündigt hat, nicht hingegen, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat.

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