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Datum:

Montag, 04 April 2022

Autor:

Livia Stauer / Eva Staub

Das Vertrauen in eine (falsche) behördliche Auskunft

Welche Voraussetzungen müssen bestehen, damit auf eine behördliche Auskunft abgestellt werden kann und was sind die Rechtswirkungen einer unrichtigen behördlichen Auskunft?

Einleitung

    Die nachstehenden Fragen und Antworten sollen einen generellen Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit vermitteln – sie ersetzen keine einzelfallbezogene Rechtsberatung und beziehen sich auf abstrakte Fragen rund um das Thema "Vertrauensschutz bei behördlichen Auskünften".

    Der Grundsatz von Treu und Glauben im öffentlichen Recht

      In Art. 5 Abs. 3 BV und Art. 9 BV werden Vertrauensschutz und das Verbot widersprüchlichen Verhaltens sowie das Verbot des Rechtsmissbrauchs als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben statuiert. Private erhalten dadurch Anspruch auf Schutz bei unrichtigen (mündlichen und schriftlichen) Auskünften von Behörden. Eine durch eine Behörde abgegebene Auskunft ist jedoch nur in Bezug auf den Sachverhalt verbindlich, wie er der Behörde zur Kenntnis gebracht wird. Ändert sich die tatsächliche Situation massgeblich, so hat die Behörde den neuen Sachverhalt zu beurteilen und ist an ihre früheren Aussagen nicht mehr gebunden.

      Um sich auf den Vertrauensschutz berufen zu können, muss eine Vertrauensgrundlage vorhanden sein. Unabdingbare Voraussetzungen für einen Vertrauenstatbestand sind:

      • Inhaltliche Bestimmtheit: Die Privatperson muss aus der behördlichen Auskunft die für ihre Disposition massgebende Informationen entnehmen können.
      • Zuständigkeit der Auskunft erteilenden Behörde: Es darf für die Privatperson nicht offensichtlich sein, dass die Auskunftsstelle unzuständig ist.
      • Vorbehaltlosigkeit der Auskunft: Wenn die Behörde zum Ausdruck bringt, dass sie sich mit der Auskunft nicht festlegen will, besteht keine schutzwürdige Vertrauensbasis.
      • Gutgläubigkeit der Privatperson: Die Privatperson hätte nicht ohne Weiteres erkennen können, dass die Auskunft unrichtig ist
      • Kausalität: Für eine nachteilige Disposition muss die behördliche Auskunft kausal gewesen sein. Die Kausalität fehlt, wenn der Adressat sich auch ohne die behördliche Auskunft für dieselbe Massnahme entschieden hätte, welche er nach der behördlichen Auskunft ergriffen hat.

      Eine Schranke für den Vertrauensschutz stellt das überwiegende öffentliche Interesse dar. Im Einzelfall gilt abzuwägen, ob ausnahmsweise das öffentliche Interesse dem Vertrauensschutz voranzugehen hat.

      Die Rechtswirkungen des Vertrauensschutzes sollen verhindern, dass Private infolge ihres Vertrauens von den Behörden einen Nachteil erleiden. Wenn die Voraussetzungen für den Vertrauensschutz in einer bestimmten Sache bejaht werden, werden Auskünfte und Zusagen trotz ihrer Unrichtigkeit verbindlich (Bindung an die Vertrauensgrundlage). Verfügungen können nicht mehr zurückgenommen oder widerrufen werden. In berechtigtem Vertrauen auf eine falsche Rechtsmittelbelehrung können erlittene Rechtsnachteile durch die Wiederherstellung der Frist behoben werden. Dies gilt auch, wenn Private sich aufgrund einer unrichtigen behördlichen Auskunft an die falsche Instanz gewandt haben. Wenn vermögenswerte Interessen Privater durch die im Vertrauen auf behördliches Verhalten getroffene Massnahmen beeinträchtigt werden, können Vertrauensschäden entschädigt werden (dies jedoch sehr zurückhaltend, eine Bindungswirkung an die Vertrauensgrundlage muss ausgeschlossen sein).

      Vertrauenstatbestand

      Um sich auf den Vertrauensschutz berufen zu können, bedarf es eines Vertrauenstatbestandes: Es muss eine Vertrauensgrundlage vorhanden sein. Darunter ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung das Verhalten eines staatlichen Organs zu verstehen, das bei der betroffenen Privatperson bestimmte Erwartungen auslöst (BGE 134 I 23, 39 f.; 129 I 161, 170 ff.; BGer, Urteil 1A.8/2004 vom 17. Dezember 2004 E. 4.2 ff. = ZBl 107 [2006] 50, 53 ff.). Dabei kommt es nicht auf die Rechtsnatur eines staatlichen Aktes an, sondern nur darauf, dass die Bestimmtheit des Aktes so hoch sein muss, dass der Private daraus für ihn massgebenden Informationen entnehmen kann und entsprechend in diese Richtung handelt.

      Was gibt es für Beispiele solcher Vertrauensgrundlagen?

      • Eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung in einer Verfügung oder einem Entscheid, der z.B. dazu führt, dass nichtwiederherstellbare Fristen verpasst werden.
      • Ein verwaltungsrechtlicher Vertrag
      • (Unrichtige) Auskünfte und Zusagen durch Behörden

       

      Die unrichtige behördliche Auskunft

        Der Schutz der Privaten bei unrichtigen Auskünften der Behörden stellt einen praktisch besonders wichtigen Anwendungsfall des Vertrauensschutzes dar. Damit ein solcher Vertrauensschutz greift, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

        • Zuständigkeit:Die auskunfterteilende Behörde muss zuständig sein. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes genügt es, dass Private in guten Treuen annehmen durften, die Behörde sei zur Erteilung der Auskunft befugt (vgl. BGE 101 Ia 92, 100). Der Schutz des guten Glaubens fällt nur dahin, wenn die Unzuständigkeit offensichtlich, d.h. klar erkennbar war. Ob dies zutrifft, muss aufgrund objektiver und subjektiver Elemente beurteilt werden (BGE 129 II 361, 382).
        • Vorbehaltlosigkeit der Auskunft: Schutzwürdiges Interesse einer Auskunft wird nur begründet, wenn sie vorbehaltlos erteilt worden ist.
        • Inhaltliche Bestimmtheit: Notwendig ist eine inhaltliche Bestimmtheit; eine lediglich vage Absichtskundgabe oder ein Hinweis auf eine bisherige Praxis genügen nicht. Noch nicht ganz geklärt ist, wie die rechtlichen Wirkungen von Internetauftritt von Bund, Kantonen und Gemeinden einzuordnen sind. Mindestens dort, wo Informationen gezielt zur Orientierung aufgeschaltet werden, kann ein Vertrauensschutz allenfalls begründet werden. 
        • Mündlich oder schriftlich: Die Form der Auskunft ist irrelevant; auch eine mündliche Auskunft kann verbindlich sein.
        • Unmittelbarer Empfänger: Die von einer Behörde abgegebene Zusicherung gilt grundsätzlich nur für den unmittelbaren Empfänger.
        • Weitergeleitete Auskünfte: Auskünfte, welche Dritten (z.B. Verbänden) erteilt wurden und von diesen weitergeleitet werden, stellen keine Vertrauensgrundlage dar.
        • Unterlassen: Eine Behörde kann auch durch Unterlassen notwendiger Hinweise oder Aufklärungen eine Vertrauensgrundlage schaffen. Dies setzt allerdings eine Aufklärungs- oder Beratungspflicht der Behörde voraus (BGE 131 V 472, 476 ff.).
        • Gutgläubigkeit: Geschützt werden nur gutgläubige Private. Wer die Unrichtigkeit einer behördlichen Auskunft kannte oder hätte kennen sollen, kann sich nicht auf sein Vertrauen berufen. An die aufzuwendende Sorgfalt darf allerdings kein allzu strenger Massstab gelegt werden. Es kommt entscheidend auf die Kenntnisse und Erfahrung des Adressaten an. An die Sorgfaltspflicht Rechtskundiger sind erhöhte Anforderungen zu stellen (BGE 135 III 489, 494; 134 I 199, 203; 127 I 31, 36).
        • Kausalität: Der Adressat muss im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft eine Disposition getroffen oder unterlassen haben, die er nicht oder jedenfalls nicht ohne Schaden rückgängig machen oder nachholen kann und die behördliche Auskunft muss für die nachteilige Disposition kausal gewesen sein. Kein Kausalzusammenhang besteht dort, wo der Adressat sich auch ohne diese Auskunft für die Massnahme entschieden hätte. Der Kausalitätsbeweis darf schon als geleistet gelten, wenn es aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung als glaubhaft erscheint, dass sich der Adressat ohne die fragliche Auskunft anders verhalten hätte (BGE 121 V 65, 67, vgl. Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Urteil BV.2006.00085 vom 21. April 2008, E.2.4.1).

        Selbst wenn die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes erfüllt sind, können sich Private nicht darauf berufen, falls ein überwiegendes öffentliches Interesse entgegensteht. Die Interessenabwägung im Einzelfall bleibt daher vorbehalten und bildet eine Schranke des Vertrauensschutzes (BGE 137 I 69, 74 ff.) Im Klartext: Es kann vorkommen, dass das private Interesse und das Vertrauen in die falsche Auskunft der Behörden als weniger schwer gewichtet wird, als das entgegenstehende öffentliche Interesse.

        Wie wirkt der Vertrauensschutz?

          Bestandesschutz oder Entschädigungsanspruch

          Das Prinzip des Vertrauensschutzes soll verhindern, dass Private infolge ihres Vertrauens in das Verhalten von Behörden einen Nachteil erleiden. Der Vertrauensschutz führt zu unterschiedlichen Rechtsfolgen: Er kann in der Form des sog. Bestandesschutzes eine Bindung der Behörden an die Vertrauensgrundlage bewirken oder aber den Privaten einen Entschädigungsanspruch gegenüber dem Staat verschaffen.

          Im Einzelnen kann dies folgendes bedeuten:

          • Bindung an die Vertrauensgrundlage: Die Bindung einer Behörde an die Vertrauensgrundlage bedeutet, dass Auskünfte und Zusagen trotz ihrer Unrichtigkeit verbindlich werden können, dass Verfügungen nicht mehr zurückgenommen werden können, dass eine Praxisänderung oder Planänderung unterbleiben muss oder dass einer gesetzwidrigen Verordnung Verbindlichkeit zukommt.
          • Wiederherstellung von Fristen: Haben sich Private in berechtigtem Vertrauen auf eine falsche Rechtsmittelbelehrung verlassen und deshalb eine Frist verpasst, so kann der erlittene Rechtsnachteil durch Wiederherstellung der Frist behoben werden. Dies gilt auch, wenn sich Private aufgrund einer unrichtigen Auskunft zunächst an eine falsche Instanz gewandt und deshalb eine Frist nicht eingehalten haben. Dagegen kann eine falsche Rechtsmittelbelehrung den Rechtsmittelweg nicht ändern oder ein Rechtsmittel schaffen, das im Gesetz nicht vorgesehen ist.

          • Entschädigung von Vertrauensschäden: Vereinzelt kann der Vertrauensschaden finanziell abgegolten werden, wenn vermögenswerte Interessen Privater durch die im Vertrauen auf behördliches Verhalten getroffenen Massnahmen beeinträchtigt werden.

           

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